Singers praktische Ethik: Pseudotierrechte und Euthanasie

Nachfolgender Artikel hätte eigentlich, so war es jedenfalls geplant gewesen, in der letzten Ausgabe der LOM (#7) erscheinen sollen. Da der Artikel über Euthanasie aber um einiges länger geworden ist, als ich es mir erdacht hatte, erscheint der Artikel über Peter Singer eben an dieser Stelle hier.

Wieso gerade ein Artikel über Peter Singer? Oder anders formuliert wieso schon wieder ein Artikel über Peter Singer und seine neue Ethik? Peter Singer steht hier zu einem erheblichen Teil stellvertretend für die vielen anderen, vielleicht weniger bekannten Euthanasie-BefürworterInnen (z.B. Hackethal, Kaplan u.v.a.). Ergänzend hierzu ist mir anhand der schriftlichen Rückmeldungen zu meinem Euthanasie-Artikel wieder einmal klar geworden, welchen Ruhm und wieviel Ansehen Singer immer noch in der (auch autonomen oder anarchistischen) Tierrechtsbewegung zukommt (vor allem in Frankreich und Spanien, wo eine kritische Auseinandersetzung mit Singers Thesen bisher gänzlich fehlt).

In der Vergangenheit sind bereits unzählige empfehlenswerter Bücher und Artikel über, bzw. gegen Singer erschienen, vor allem aus den Bereichen der Behindertenpädagogik, Antifa und autonomen/anarchistischen Tierrechtsbewegung. Da die LOM den Anspruch erhebt vielerlei anarchistische Themengebiete abzudecken und sich nicht ausschließlich an Antifas oder TierrechtlerInnen richtet hat eine neue, weitere Erläuterung von Singer Thesen und Ansichten hier sehr wohl einen berechtigten Platz. Aus diesem Grunde wieder einmal Peter Singer, auf daß alle endlich einmal Bescheid wissen...

Peter Singers Hauptwerke

Peter Singer ist Professor der Philosophie an der Universität von Clayton, Victoria (Australien) und fungiert ebenfalls als Direktor des dortigen Centre for Human Bioethics (Zentrum für humane Bioethik).

Singer wurde in der Welt der Philosophie vor allem durch sein Buch Praktische Ethik (1984, englische Erstveröffentlichung 1979) bekannt.

Innerhalb der Tierrechtsbewegung hat Singer durch die Publikation von Animal Liberation - Die Befreiung der Tiere (1982) Ruhm und Respekt erlangt. Dieses Buch gilt auch heute leider noch bei vielen TierrechtlerInnen als das Nonplusultra Nachschlagwerk in Sachen Tierbefreiung und -rechte.

In vielen linken Bereichen fand Singer auch Anerkennung durch sein Werk Demokratie und Widerstand (englische Erstausgabe 1973), in welchem er für gewaltfreien, zivilen Widerstand plädiert. Letzterer Bereich wird aber im Gegensatz zu seinen anderen „Fachgebieten" nur mehr von wirklich hartgesottenen Fans beachtet und geschätzt.

Schlußendlich riß Singer durch die gemeinsame Publikation mit seiner Gattin Helga Kuhse Muß dieses Kind am Leben bleiben? Ein Problem schwerstgeschädigter Neugeborener (1993, englische Erstveröffentlichung 1985) die Aufmerksamkeit vieler Behinderten und Angehörigen auf sich, und erstmals wurden auch lautstarke Proteste und Kritiken hörbar. In Deutschland ist es für Singer mittlerweile fast nicht mehr möglich öffentlich aufzutreten und seine hetzerischen Ideen zu propagieren. Zumindest nicht ohne viel Schutz und Aufwand in Kauf zu nehmen.

Die eben aufgezählten Bereiche sind aber keinesfalls von einander losgelöst zu betrachten, wie es durch diese Auflistung den Anschein haben mag. Singers Grundideen ziehen sich wie ein roter Faden durch all seine Publikationen. Einen sehr interessanten Abriß über seine diversen Ideen gibt Singer in seinem Buch Praktische Ethik wieder. Aus diesem Grund basiere ich mich bei meinen Ausführungen und Analysen hauptsächlich auf diese Primärquelle. Es stellt sozusagen eine Art Zusammenfassung seiner Grundansichten dar und ist außerdem der Ausgangspunkt für später erschiene Schriften.

Singers Praktische Ethik

Die in der praktischen Ethik wiedergegebenen Ideen und Auffassungen lassen sich in so ziemlich alle Werke Singers wiederfinden. Ausgehend von 4 Begriffskonstellationen (Gleichheitsprinzip, Utilitarismus, Person und der Einteilung lebenswertes/unlebenswertes Leben) entwickelt Singer all seine weiteren Theorien und Ansichten. Sie dienen ihm sozusagen als Ausgangsbasis für seine philosophischen Konstruktionen, und sind aus diesem Grund unerläßlich wenn wir uns kritisch mit einer praktischen Ethik befassen wollen.

a) Utilitarismus

Der Utilitarismus ist eine philosophische Lehre, bei welcher die Frage nach dem Nutzen im Mittelpunkt steht. So werden Handlungen und Motivationen alleine nach ihrer Zweckdienlichkeit (für die Allgemeinheit) bewertet. „Was nützlich ist, ist auch moralisch gut" (Jonas, in Bruns, Penselin, & Sierck, 1993 , Seite 38). Die sogenannten Kosten-Nutzen-Rechnungen stehen stets im Mittelpunkt aller Bewertungen, selbstverständlich auch der ethischen. Das Prinzip der ethischen Unantastbarkeit hält Singer sowieso für ein längst überholtes, altes Religionsrelikt, das seit langem abgeschafft gehört. So fallen Nützlichkeit und Sittlichkeit bei den UtilitaristInnen zusammen und verschmelzen miteinander.

Singer hat den klassischen Utilitarismus von Jeremy Bentham (1748-1832) und John Stuart Mill (1806-1873) weiterentwickelt (ich verzichte hier der Verständlichkeit halber auf die näheren philosophischen Ausführungen), und den Begriff der Nützlichkeit, bzw. Schädlichkeit mit dem des Glücks ausgetauscht. So wird bei Singer eine Handlung nicht nach dem erbrachten Nutzen bewertet, sondern nach dem Quantum Glück was hervorgeht. Er spricht von erreichbaren Glückspunkten auf einer Utilitarismus-Skala, eine durch und durch mechanistisch-mathematische Herangehensweise an das Leben.

Die große Gefahr beim Utilitarismus liegt darin, daß Rechte in Frage gestellt werden können, wenn die Allgemeinheit, also die Gesellschaft oder der Staat hieraus Nutzen ziehen können. Individuelle Bedürfnisse und Motivationen kommen nicht mehr zur Geltung, es zählt nur noch das Allgemeinwohl. Der einzelne Mensch geht in der Masse unter, bzw. erstickt an deren Ansichten und Forderungen. Durch Wilhelm Reichs (1897-1957) interessante Analyse der Massenpsychologie oder spätestens seit Erich Fromms (1900-1980) Ausführungen zum Konformismus und Autoritarismus, ist allerseits bekannt, daß es ein leichtes ist eine ganze Masse von Menschen auf einmal zu manipulieren und zu leiten. Auf diese Weise ist es den Herrschenden möglich mittels Werbemechanismen ihr gewünschtes Menschenbild und ihre kapitalistische Verwertungslogik zu verbreiten. Was dann mit all jenen passiert, die nicht mehr ins Steckbrett der Gesellschaft passen, weil sie nicht genügend Glückspunkte erreichen oder „ihre Nützlichkeit" zu gering ist, können wir uns leider nur zu gut ausmalen.

Zusammengefaßt formuliert: es geht nicht mehr um das moralische Ja oder Nein, sondern einzig und allein um die ökonomischen Nutzen. Meiner Ansicht nach eine durch und durch kapitalistisch-neoliberale Betrachtungsweise. Erfolg stellt in einer utilitaristischen Welt alles dar was noch zu zählen scheint! Die Aussicht auf möglichen Profit steht über den individuellen Wünschen und Bedürfnissen.

b) Gleichheit

Peter Singer legt großen Wert darauf, daß es ihm keinesfalls darum geht eine neue Form der Stigmatisierung oder der Diskriminierung einzuführen. Er geht scheinbar von der Gleichheit aller Menschen und Tiere aus, und verwirft aus diesem Grund auch jegliche Form von Speziesmus. So behauptet er es zumindest in seinen Schriften. Zwischen den Zeilen gelesen kommen, bei näherer Betrachtung allerdings die ersten groben Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit. Wie tauglich sein Speziesmusbegriff in Wirklichkeit ist, werden wir noch zu genüge sehen, wenn wir uns mit seiner Auffassung von Tierrechten befassen.

Entscheidendes Kriterium für einen Anspruch auf Gleichheit ist nach Singer die Empfindungsfähigkeit, hier vor allem die des Leidens. Nur wer Leiden bewußt erleben kann, besitzt auch die Fähigkeit Interessen zu besitzen und nach deren Verwirklichung zu trachten. Eng verbunden mit der Leidensfähigkeit ist selbstverständlich auch das Erleben von Glück und Freude. „Ist ein Wesen nicht leidensfähig oder nicht fähig, Freude oder Glück zu erfahren, dann gibt es nichts zu berücksichtigen. (...) Wo keine Leidensfähigkeit, da also auch keine Notwendigkeit der Rücksichtnahme (...)" (Singer, 1984, Seite 73).

Singer geht davon aus, daß die Zugehörigkeit zu einer Rasse oder Spezies keine geeignete Grundlage für moralisches Urteilen darstellt. Dem kann ich keinesfalls etwas entgegensetzen und ich kann in diesem Punkt Singer nur zustimmen. Allerdings ist Singers Gleichheitsprinzip ebenso stigmatisierend und diskriminierend wie die klassischen Rassismus- und Speziesmusmuster. Er führt nur eine neue Zugehörigkeitseinteilung ein: leidfähige versus nicht-leidfähige Wesen. Im Endeffekt wird sich nicht viel ändern, und etliche Lebewesen werden weiterhin von anderen, die sich für etwas besseres halten, ausgebeutet und unterdrückt werden. Letztere können ihr Gewissen dann mit der Prämisse trösten, daß die Ausgebeuteten ja eh kein Leid empfinden können. Was wiederum nur einer Entschuldigung gleichkommt und emanzipatorische Ansätze gleich zu Beginn verstummen läßt, weil ihnen der Argumentationsboden unter den Füßen weggezogen wird.

c) Persönlichkeit und Person

Im Mittelpunkt des singerschen Gleichheitsprinzips steht nebst der Leidfähigkeit, auch die strenge Einteilung in „Person" und „Nicht-Person". Als neues Unterscheidungskriterium führt er die Persönlichkeit ein. Nur wer über Persönlichkeit verfügt, kann als Person angesehen werden, und hat demzufolge nach Singer ein Anrecht auf Leben und Glück. Unter dem Begriff Person werden bei Singer nicht nur Menschen, sondern ebenfalls Tiere subsumiert. Als ausschlaggebende Merkmale von Persönlichkeit gelten nach Singer das Vorhandensein von Selbstbewußtsein, und das Bewußtsein von Zukunft und Vergangenheit (was sich vor allem im Wunsch weiterzuleben ausdrückt). Wer eben genau diese Kriterien erfüllen kann darf sich glücklich schätzen, weil er/sie/es nach Singers Definition dann eine Person darstellt, und somit auch das Recht hat als eine solche behandelt und beschützt zu werden. Als Mensch definiert Singer all jene, die über Vernunft und Ratio verfügen, alle anderen fallen wieder einmal durchs Raster. Daß dies genau die gleichen Kriterien wie die im heutigen Kapitalismus üblichen sind, ist wohl unschwer zu erkennen.

Auf diese Art und Weise kommt es zu einer bisher unbekannten Neubestimmung des Verhältnisses zwischen Mensch und Tier, nämlich über die neue Kategorisierung Person versus Nicht-Person. Alle bisherigen moralischen Prinzipien werden dadurch durcheinandergerüttelt. Sie werden allerdings, nicht wie Singer gerne von sich behauptet außer Kraft gesetzt, sondern sie werden einfach nur ein wenig modifiziert. Die Diskriminierung besteht nämlich noch weiterhin fort, wenn sie sich auch nach neuen Kriterien ausrichtet. Wo da der wirklich revolutionäre Unterschied sein soll, kann ich beim besten Willen nicht erkennen. Ich bin der Ansicht, daß eine Kritik am Speziesmus, Rassismus und der bisherigen Stigmatisierung dringend nötig ist, allerdings nicht in der Form wie Singer es tut. Ich plädiere für die Abschaffung von Kategorisierung, und nicht die Einführung neuer Kategorien. Das ist nämlich reformistisch und keinesfalls revolutionär!

d) Lebenswertes und unlebenswertes Leben

Aus den eben genannten drei Kriterien, also Utilitarismus, Gleichheitsprinzip und Persönlichkeit, zieht Singer die Schlußfolgerung, daß es einerseits Leben gibt, welches es zu schützen und zu unterstützen gibt, und andererseits sogenanntes unlebenswertes Leben. Eine derartige Unterteilung kann zu sehr extremen Forderungen und Ansichten führen. So ist nach Singer „(...) das Töten einer Person unter gewissen Bedingungen ernster zu nehmen als das Töten eines nichtpersonalen Wesens" (1984, Seite 111). Der Wert eines Lebens fällt und steht mit dem vorhandenen Bewußtsein und der Erlebnisfähigkeit, oder wie Singer es selber formuliert „(...) legt daher den Gedanken nahe, daß das Leben eines Wesen, das keine bewußten Erlebnisse hat, über keinen Wert an sich verfügt" (1984, Seite 128). Für mich stellt sich die ernste Frage wie Bewußtsein feststellbar ist, ohne auf konventionelle psychologische Testverfahren zurückzugreifen (welche wiederum ausschließlich Bewußtsein beim Menschen postulieren, egal ob Person oder Nicht-Person).

Peter Singer verwirft den Begriff des Humanismus, weil er seiner Ansicht nach lediglich ein Relikt aus alten Zeiten ist, und unserer heutigen Welt nicht mehr gerecht werden kann. Und dennoch scheinen seine Theorien und Ausführungen sehr humanistisch, weil es doch vermeintlich um Gleichheit geht. Was er genau unter dieser Gleichheit subsumiert haben wir bereits kennengelernt. Die Gleichheit jener, welche die gleichen Interessen haben und eben seinen aufgestellten Kriterien nachkommen können. Ich würde deshalb vielmehr von Pseudohumanismus reden, da er den klassischen Humanismus ablehnt, weil dieser zu anthropozentrisch sein. Eben hinter diesem Pseudohumanismus, gepaart mit einem guten Schuß Sozialdarwinismus schleicht sich unweigerlich auch eine gewisse Portion Rassismus mit ein. Natürlich alles auf sehr subtile Art und Weise, daß auch nur ja keiner auf die Idee kommt der gute Singer würde neue Formen der Stigmatisierung und Diskriminierung einführen. Und genau dies ist aber leider der Fall. Wer solche Theorien aufstellt, muß auch immer damit rechnen, daß sie anders interpretiert werden können als erwünscht.

Von kritischer Theorie, kritischer Psychologie, Behindertenpädagogik und Sozialpsychologie scheint Singer noch nie etwas gehört haben, bzw. negiert er gänzlich deren Erkenntnisse in seinen Werken. Der Mensch wird auf einige, wenige Aspekte reduziert, was „seinem Wesen" (sic!) keinesfalls gerecht werden kann. Der Mensch erscheint als technisch-mechanisches Wesen, welches einzig und allein nach dem Glück-Unglück-Prinzip zu funktionieren scheint. Daß ein derartig empiristisches Menschen- und auch Naturbild revolutionär sein soll, erscheint mir mehr als zweifelhaft. Meiner Ansicht nach ist der Mensch primär ein soziales Wesen, und auch nur in diesem Kontext zu verstehen und analysierbar. Ohne den sozial-politischen und ökonomischen Bezug muß mensch einfach zu vereinfachten Sichtweisen gelangen, wie schon der Behaviorismus zur genüge bewiesen hat.

Peter Singer ist ja, wie eingangs angemerkt, Direktor an einem Institut für Bioethik. Jedenfalls besteht das primäre Ziel der Bioethik in der Propagierung der Optimierung des Körpers. Es geht also darum menschliche Organismen, aber auch Tiere und Pflanzen, zu entwickeln, oder besser formuliert zu kreieren, welche den heutigen kapitalistischen Verwertungsideen am Besten entsprechen. In einem bioethischen Weltbild haben Fehler, Mißgeburten und Behinderungen keinen Platz, weil einzig und allein der Erfolg und die Profitmaximierung zählen. Der Bioethik stehen bereits heute eine ganze Anzahl von Methoden und Verfahren zu Verfügung, um die gewünschten Wesen zu erschaffen: reproduktionsmedizinische Verfahren (In-Vitro-Fertilization uvm.), Genmanipulation, genetisches Screening (d.h. die Analyse der Genstruktur), um nur einige zu nennen. Die Bioethik folgt den Ideen von Singers praktischer Ethik, nämlich, daß sogenannte moralische Entscheidungen einzig und alleine an Nutzen-Kosten-Abwägungen ausgemacht werden. Die im Kapitalismus Herrschenden entscheiden was gut/schlecht, schön/häßlich, wünschenswert/unerwünscht ist. Kurz sie legen die Normen und Regeln fest, nach welchen alle anderen zu handeln haben.

Viele Ideen von Singer mögen durchaus einen Bruch mit bisherigen, herrschenden Ansichten darstellen, sie aber als revolutionär zu bezeichnen, wie es z.B. die AntispeziestInnen der französischen Zeitschrift Pour l’égalité animale tun, finde ich einfach dermaßen übertrieben. Singer propagiert zwar nicht die Ansichten der konservativen, katholischen Kirche oder die des klassischen Kapitalismus. Nein, vielmehr sind es eben genau die Ansichten des Neoliberalismus und des postmodernen Neokapitalismus. Wir müssen seine Theorien und Ausführungen also auch unter dem Lichte der Zukunft betrachten. Sie sind meiner Ansicht nach wegbereitend für eine Gesellschaftsform (Stichwort Globalisierung, 2/3 Gesellschaft...). Mit einer emanzipatorischen Revolution hingegen hat dies aber rein gar nichts zu tun.

Euthanasie

Aus meinen Ausführungen zu Singers praktischer Ethik läßt sich ohne weiteres erkennen, daß Peter Singer und seine AnhängerInnen vehemente Euthanasie-BefürworterInnen sind, und auf diese Weise die gesellschaftliche Wertehierarchie übernehmen, nach welcher es schützenswerte Lebewesen (hier Personen genannt) und opferbare Lebewesen (hier Nicht-Personen genannt) gibt. Diese Neubestimmung des Lebenswertes legt die verschiedenen Menschengruppen fest. Zu jenen Menschen, die auf der untersten sozialen Stufe stehen, also nach Singer den geringsten Lebenswert besitzen gehören nebst chronisch und akut Kranken, auch alte Menschen und Behinderte. Vor allem mit der letzten „Gruppe" befaßt sich Singer eingehender und spricht ihnen jegliches Recht auf Leben ab. Inwieweit diese Gruppeneinteilungen ausdehnbar sind, z.B. auf Obdachlose, Junkies usw. führt Singer nicht an. Ich persönlich denke aber, daß hierin eine erhebliche Gefahr der Stigmatisierung liegt, weil derartige Kategorisierungen voll und ganz ins Konzept der herrschenden Mentalität passen und dazu dienen die Solidarität unter der Bevölkerung zu dezimieren und sogenannten Sündböcke zu kreieren. Die Grenze zwischen oben und unten (also der herrschenden und der ausgebeuteten Klassen) wird verlagert. Es entstehen neue, künstliche Grenzen, eben zwischen erwünschten und unerwünschten Lebewesen.

Jene Menschen, die unter eine der eben erwähnten Gruppen fallen, gelten nach Singers Definition nicht als Person, haben folglich auch kein Recht auf Leben und können ohne weiteres getötet werden, falls das Gemeinwohl hieraus Nutzen ziehen kann. Wer derartige Kosten-Nutzen-Rechnungen fixiert, wissen wir wohl zur genüge: eben wieder einmal die Herrschenden.

Besonders Behinderungen sieht Singer als schwerwiegende Belastung für die Gesellschaft, vor allem aber für die betroffenen Eltern an. Um eine derartige Belastung zu umgehen, sieht Singer die Tötung von behinderten Kleinkindern durchaus als legitim und wünschenswert an. Er geht davon aus, daß jedes behinderte Kind eine erhebliche Belastung für die eigenen Eltern darstellt, und derart viel Zeit und Energie in Anspruch nimmt, daß die Eltern freiwillig auf weitere Kinder verzichten. Durch diese Überbelastung, an welcher nach Singer alleine das behinderte Kind die Schuld trägt, wird einem womöglich gesunden Kind die Geburt und die Möglichkeit zum Leben verwehrt. Das behinderte Kind steht dem gesunden somit im Wege. „Der Kern der Sache ist freilich klar: die Tötung eines behinderten Säuglings ist nicht moralisch gleichbedeutend mit der Tötung einer Person. Sehr oft ist sie überhaupt kein Unrecht" (Singer, 1984, Seite 188).

Singer und seine Gattin Kuhse stellen das Lebensrecht von Säuglingen bis einige Wochen nach der Geburt in Frage, eben weil sie die gesetzten Kriterien (Vernunft, Zukunftsorientierheit, Persönlichkeit...) scheinbar noch nicht erfüllen können (nur so nebenbei: etliche psychologische Forschungen haben bereits lange vor Singer das Gegenteil erwiesen). Ich möchte hier unbedingt anmerken, daß Parallelen zwischen Euthanasie an Säuglingen und Abtreibung durchaus vorhanden sein mögen, daß es aber dennoch erhebliche Differenzen gibt. Hinter Singers Ausführungen stehen rein bevölkerungstechnologische Interessen, das heißt die Idee sogenannte perfekte Menschen zu schaffen. Ziel dieser Reproduktionsmedizin ist das industriell genormte Kind, ein Qualitätsprodukt der modernen Wissenschaften. Eben Kinder welche mit der kapitalistischen Verwertungslogik übereinstimmen.

Singer und Kuhse propagieren das gängige Bild der „happy normal family". Eine regelrechte rosarote Welt, wo es nur noch schöne und leistungsfähige Menschen gibt. Glückliche Eltern und strahlende Kinder eben. Wo alle Menschen dermaßen überdurchschnittlich sind, daß sie schon wieder nur durchschnittlich sind, aber nie unterdurchschnittlich, denn solche werden eliminiert, sei es durch Genselektion vor der Geburt oder eben durch Euthanasie. Daß es auch möglich ist behinderten Kindern genauso viel, wenn nicht sogar mehr Lieben entgegenzubringen, als sogenannten nicht-behinderte kommt Singer an keiner einzigen Stelle in den Sinn. Er propagiert die gängigen Schönheitsideale, welche eindeutig die der Herrschenden und Reichen sind. Auf diese Weise gelingt es ihm Angst vor behinderten Menschen zu schüren, was eindeutig im Sinne der Herrschenden und Reichen liegt. Schwangeren Müttern werden Bilder von behinderten Neugeborenen gezeigt, so daß sie sich bereit erklären einen medizinisch-gestützten Eingriff über sich ergehen zu lassen. Daß derartige Eingriffe nicht wirklich im Sinne der Mutter und des Kindes sind, sondern einzig und allein der kapitalistischen Reproduktionslogik dienen wird absichtlich verschwiegen.

„Der Fötus, der stark zurückgebliebene dahinvegetierende Mensch (human vegetable), selbst das Neugeborene - sie alle sind unbestreitbar Angehörige der Spezies Homo Sapiens, aber niemand von ihnen besitzt ein Selbstbewußtsein oder hat einen Sinn die Zukunft oder die Fähigkeit, mit anderen Beziehungen zu knöpfen" (Singer, 1984, Seite 105). Gleich an mehreren Stellen bezeichnet Singer behinderte Kleinkinder und Erwachsene als „human vegetable" (zu deutsch: menschliches Gemüse). Eine wirklich sehr krasse und zu tiefst biologistisch-rassistische Stigmatisierung, die meiner Ansicht nach nur darlegt, wie tief Singer doch stellenweise argumentiert und denkt. Ich denke jeglicher Kommentar erübrigt sich da!

Fassen wir Singers Ansichten noch einmal kurz zusammen. Er geht von 4 Gründen aus, welche ÄrztInnen, Eltern, Angehörige usw. dazu veranlassen können/sollen Euthanasie an einem menschlichen Lebewesen durchzuführen (vgl. Degner & Erwinkel, in Bruns, Penselin & Sierck, 1993, Seite 96):

- Die scheinbar verminderte Lebensqualität Behinderter rechtfertigt ihre Tötung.

- Neugeborene haben generell kein Recht auf Leben.

- Behinderte sind schädlich für die Gesellschaft.

- Behinderte Säuglinge, bei denen eine Behandlung nutzlos erscheint, soll ein qualvoller Tod erspart werden.

Wieder einmal sollen ÄrztInnen und WissenschaftlerInnen bestimmen welches Leben eine angemessene Qualität aufzuweisen hat, und welches nicht. Wieder einmal wird Menschen generell Lebensrecht abgesprochen. Wieder einmal werden Menschen als Schädlinge und Parasiten für die gesamte Gesellschaft dargestellt. Wieder einmal wird im Namen des Wohle des betroffenen Personen für deren Tod entschieden. Gewisse Parallelen zur medizinischen Praxis im Dritten Reich bestehen ganz klar. Nicht zuletzt aus dem Grund weil auch unter den Nazis Euthanasie an unerwünschten Menschengruppen gang und gäbe war. Singer mag sicherlich kein Nazi sein, dies zu behaupten würde eindeutig zu weit führen und etliche Charakteristiken der Nazis vermindern oder negieren. Aber Singer benutzt viele Argumentationspunkte und -linien, die auch bereits in sehr ähnlicher Art und Weise von NS-Euthanasieärzten angewandt wurden.

Nach Singer stellt passive Sterbehilfe sozusagen die ideale Lösung dar, zum einen weil der Effekt der gleiche ist wie bei der aktiven Sterbehilfe, das heißt der Tod der Person. Zum anderen kann sich der/die ÄrztIn immer noch herausreden, nicht direkt am Tod schuld zu sein, und dient somit als ethische und vielleicht auch juristische Absicherung. Unter den „Mitteln" der passiven Sterbehilfe hebt Singer vor allem den Nahrungs- und Therapieentzug, sowie das Unterlassen von Operationen hervor. Singer ist aber so „nachsichtig" und gibt zu, daß es unweigerlich auch zu Fehlentscheidungen kommen muß. „Dieser sehr kleinen Zahl von unnötigen Todesfällen, die eintreten könnten, wenn die Euthanasie legalisiert ist, müssen wir die große Summe von Leiden und Qual entgegenstellen, die von wirklich todkranken Patienten erlitten werden, wenn die Euthanasie nicht legalisiert ist. Längeres Leben ist kein so hohes Gut, daß es alle Argumente aufwöge" (Singer, zitiert nach Goettle, in Bruns, Penselin & Sierck, 1993, Seite 77). Also wieder die schon beinahe klassische Kosten-Nutzen-Rechnung. Köpfe müssen rollen so oder so. Oder es lohnt sich Bauern zu opfern, wenn wir dadurch die Königin verschönern können.

Tierrechte

„Die als schwerbehindert geltende Menschen sind für Singer der ‘Beweis’, daß die Grenze zu den Tieren hin aufgelöst werden muß" (Jonas, in Bruns, Penselin & Sierck, 1993, Seite 37). Singers Ansichten von Euthanasie und Tierrechten hängen sehr eng zusammen. Sie basieren beide auf seinem utalitaristischen Ansatz und sind auch nur vor diesem Hintergrund verständlich. Leben gilt erst dann als schützens- oder lebenswert, wenn gewisse Leistungskriterien erfüllt werden können. Eben jene Kriterien, die nach Singer eine Person ausmachen. Wie oben bereits kurz erwähnt, können Tiere unter Umständen ebenfalls zu der Kategorie Person hinzugerechnet werden.

Peter Singer ist scheinbar ein unermüdlicher Ritter gegen den Speziesmus und für die Tierrechte. Nicht zu letzt wegen seines Buches „Animal Liberation" gilt er weltweit als einer der bekanntesten Tierschützer, und dies sogar in vielen autonomen/anarchistischen Zusammenhängen. Er verwirft den Humanismus, weil dieser zu sehr anthropozentrisch ausgerichtet sei (d.h. der Mensch steht im Mittelpunkt des Interesses). Er behauptet, daß der Mensch nur den Menschen liebt, und negiert hierbei, daß es auch so etwas wie Menschenunterdrückung gibt.

Der Bioethiker Peter Singer verwirft ebenfalls den Speziesmus, weil er nicht der Ansicht ist, daß wertende Grenzen zwischen den diversen Spezies gezogen werden sollten. Die anti-speziestische Idee ist, meiner Ansicht nach berechtigterweise, eine gern gesehene in der Tierrechtsbewegung. Dennoch muß zwischen Singers Anti-Speziesmus und dem Anti-Speziesmus vieler autonomer Tierrechtsgruppen strikt unterschieden werden. Es handelt sich hier um zwei komplett verschiedene Paar Schuhe!

Es stimmt wohl, daß Singer Grenzen zwischen Tier und Mensch zerstört, indem er Tieren die gleichen Rechte zuspricht wie den Menschen. Ja, zumindest auf den ersten, raschen Blick. Betrachten wir Singers Ausführungen allerdings etwas näher, so wird klar und deutlich, daß er andererseits 100 neue Grenzen aufzieht. „Es wäre (...) nicht notwendigerweise Speziesmus, wenn man den Wert verschiedener Lebewesen in einer hierarchischen Rangordnung einstuft" (Singer, 1984, Seite 128). Er geht nämlich nicht davon aus, daß alle Lebewesen den gleichen Wert haben, wie dies der herkömmliche Anti-Speziesmus nämlich tut. Nein, Singer führt eine neue Einteilung ein, nämlich die von Person und Nicht-Person. Das einzig neue an dieser Einteilung ist, daß nicht die Zugehörigkeit zu einer Spezies ausschlaggebend ist, sondern das Erfüllen diverser Kriterien, welche wiederum vom Menschen festgelegt werden. Singers Speziesmusbegriff basiert auf seinem Utilitarismus, das heißt gleich ist was gleiche Interessen hat. Hierin unterscheidet er sich maßgeblich von dem vieler (autonomer) Tierrechtsgruppen, die nach dem Prinzip der Gleichheit arbeiten und denken. Und doch gibt es immer noch etliche TierrechtlerInnen, die auf Singers scheinheiligen Einsatz für die Tierrechte reinzufallen scheinen.

Für Singer sind nicht alle Tiere wirklich gleich, und somit schützenswert. Er führt, durch seine Kategorisierung von Person vs. Nicht-Person, auch unter den Tieren Wertehierarchien ein. „So scheint es, daß etwa die Tötung eines Schimpansen schlimmer ist als die Tötung eines schwer geistesgestörten Menschen, der keine Person ist" (Singer, 1984, Seite 135). Schimpansen gehören also zu der Gruppe der Personen und stehen somit über Behinderten, Alten usw. Zu den Tieren, die über keine Persönlichkeit verfügen, und somit tötbar (und wohl auch eßbar?) sind, zählt Singer unter anderem Fische, Vögel, Hühner oder Schnecken.

Auch was Tierversuche anbelangt, argumentiert Singer absolut utilitaristisch und geht von einer rein sachlichen Kosten-Nutzen-Abwägung aus. „(...) Wenn ein Tier oder auch ein Dutzend Tiere Experimente erleiden mußten, um Tausende zu retten, dann würde ich es im Hinblick auf die gleiche Interessenserwägung für richtig halten, daß sie leiden" (Singer, 1984, Seite 83). Ausschlaggebend ist hier also eindeutig die Aussicht auf Erfolg, und auch nicht mehr die Zugehörigkeit zur Gruppe der Personen. Was an eine solche Haltung mit Tierrechten und Anti-Speziesmus zu tun haben soll, bleibt mir echt schleierhaft.

Wir sehen also, daß Singer sich gerne als großen Tierschützer profiliert, und leider auch als solcher hochgehalten wird, den er in Realität aber keinesfalls verkörpert. Er mag vielleicht den alten, klassischen Speziesmus abschaffen, führt statt dessen aber wieder neue Kategorien und Werthierarchien ein. Er verschiebt die Grenzen lediglich von der Eben der Spezieszugehörigkeit hin zur Person/Nicht-Person. Den meisten TierrechtlerInnen geht es ja schließlich darum die Tiere zu schützen, weil sie sich meistens eben nicht adäquat gegen uns Menschen wehren können. Sie treten als sogenannte „AnwältInnen" der Tiere auf und sprechen und handeln in deren Namen (nun einmal sehr bildhaft und symbolisch erläutert). Also kurz formuliert sie treten für die Schwachen ein. Wenn eine solche Einstellung aber auf „Kosten" (huch, jetzt benutze ich dieses Wort ja auch schon) anderer, ebenfalls sogenannter „Schwacher" geht, dann kann ich dem keinesfalls zustimmen. Eine solche Form von Tierschutz ist mit meinen anarchistischen Überzeugungen keineswegs kohärent. Solche Leute haben in einer linksradikalen Tierrechtsbewegung nix zu suchen!! Und ihre Werke gehören auch nicht länger unter die Klassiker!!

Schreibstil

Singers Diskurs wird bestimmt von einer strikten Loslösung von sozial-politischen und ökonomischen Zusammenhängen. Seine Ansichten stehen somit in einem luftleeren, theoretischen Raum, wo jeder direkte Bezug zur Realität gänzlich fehlt. Er führt eigentlich lediglich theoretisch-philosophische Ausführungen an, und schafft es auf diese Weise eine Art Schutzwall gegen jegliche Kritik um sich herum aufzubauen.

In seinen Schriften vermittelt er der/dem LeserIn nie wirklich das Gefühl, daß er hier seine eigenen Ideen preisgibt, sondern daß es sich vielmehr um eine sachliche, objektive und wissenschaftliche Darlegung irgendwelcher Ideen handelt, denen er nicht unbedingt sehr nahe zu stehen scheint. Durch diesen Schreibstil ist es möglich seine Argumente zu relativieren und ihnen den „radikalen", polemischen Elan zu nehmen. Anders ausgedrückt seine Werke wirken auf den ersten Blick mehr als nur harmlos, wohl auch dadurch, daß er sehr sachlich und vermeintlich distanziert schreibt.

Eingebettet in seine Schriften wirken seine wichtigen Aussagen harmlos, und fallen auf den ersten Blick eigentlich auch gar nicht auf. Seine wirklich krassen Formulierungen finden sich in scheinbar unwichtigen Nebensätzen wieder, für das Bewußtsein nicht unbedingt als solche wahrnehmbar, für das Vor- und Unterbewußte aber hingegen sehr wohl. Reißt mensch seine Argumente und Zitate hingegen aus dem Gesamtwerk hinaus, wird ihre extreme Aussagekraft erst wirklich deutlich. Allerdings besteht dann das Problem, daß diese Aussagen eben aus dem Kontext losgelöst sind und auf diese Weise ein falsches Bild vermitteln können. So könnte mensch argumentieren, zumindest wenn es sich um die meisten SchreiberInnen und WissenschaftlerInnen handelt. Singer hingegen stellt wieder einmal einen Ausnahmefall dar, weil er es wirklich perfekt schafft seine krassen Aussagen in scheinbar harmlose Sätze einzubauen und sie auf diese Weise an Radikalität verlieren. Die meisten lesen schließlich das gesamte Werk und nicht nur einzelne Zitate. Mit diesem Wissen ist Singer womöglich auch an das Verfassen seiner Schriften herangegangen.

Singer vertritt den Mythos der ideologiefreien Wissenschaften, nach welchem es möglich ist rein objektiv zu schreiben. Er behauptet, daß er sich eigentlich nur abstrakt mit ethischen und philosophischen Fragen befaßt. Welche Schlüsse die LeserInnen daraus ziehen scheint ihn nicht zu interessieren. Er lehnt somit jede Verantwortung für die Interpretation seiner Schriften ab. Ich denke mir, daß einE SchreiberIn auch stets im Hinterkopf die Frage nach einer möglichen Interpretation durch andere mit sich herumtragen sollte.

Singers relativierender und sich-selbst hinterfragender Schreibstil gehört zu seinem Sprachdiskurs und bestimmt ihn maßgeblich. Es handelt sich um eine rein rhetorische Art, die auf diese Weise weniger angreifbar ist. Ein von Singer sehr häufig benutztes Schreib- und Überzeugungsmittel stellen die vielen suggestiven Fragen dar. Auf diese Weise gelingt es ihm dem/der Lesenden das Trugbild zu vermitteln, er würde eigentlich nur eine harmlose Frage stellen, ohne dabei seine eigene Ansicht zu propagieren. Es handelt sich hier eindeutig um eine Täuschung der Lesenden, weil letztere über das Unterbewußtsein sehr wohl die Ideen und Ansichten als Singers eigene aufnehmen.

Ich muß zugestehen, daß er ein begnadeter Schreiber ist, zumindest wenn es darum geht die eigenen Argumente an den/die LeserIn zu bringen, ohne diesem/dieser das Gefühl zu vermitteln, mit fremden Ideen vollgestopft und indoktriniert zu werden. Seine Argumente und Ansichten schleichen sich sozusagen klammheimlich durch die Hintertür hinein. Seine wirklichen Aussagen sind zwischen den Zeilen zu finden. Wer das Buch einfach rasch, ohne kritische Betrachtung und ohne Bezugnahme zur aktuellen sozialen und politischen Lage liest, wird zum Entschluß kommen, daß Singers „Thesen einen revolutionären Charakter" besitzen.

Er relativiert seine Ideen auch dadurch, daß er scheinbar auch Gegenargumente (Antithesen) anführt. Bei näherer Betrachtung wird aber ersichtlich, daß er nur jene Gegenargumente bringt, die von ihm widerlegbar sind oder eh schon seine Position bekräftigen, weil sie derart abstrus sind, daß kein Mensch ihnen Glauben schenkt. Er argumentiert äußerst geschickt und ohne das nötige Vorwissen tappt mensch ständig in die von ihm aufstellten Fallen. „Denkbeamte wie Singer lassen den moralischen Laien ohne viel Aufwand in die fachmännisch vorbereiteten Gruben purzeln" (Goettle, in Bruns, Penselin & Sierck, 1993, Seite 71).

Die Werke von Peter Singer sind nicht objektiv geschrieben, auch wenn er uns das nur allzugerne vorgaukeln möchte. Und sie sind auch nicht objektiv zu lesen, wie er uns ebenfalls glauben lassen möchte. Er schreibt sehr leicht verständlich und sachlich. Es gilt also zwischen den Zeilen zu lesen und sich immer wieder die Frage zu stellen, in welchem Zusammenhang diese oder jede Aussagen mit der kapitalistischen Verwertungslogik stehen. Erst dann ist es dem/der LeserIn möglich den wahren Charakter von Singers Thesen und Ideen zu erfassen, und zu erkennen daß Worte wie Gleichheit und Empathie in Singers Mund nur Lug und Trug sein können.

Ein Mensch wie Singer und vor allem seine Thesen haben in einer anarchistischen und autonomen, und natürlich auch sonstwie linken Bewegung, rein gar nichts zu suchen. Sie sind stigmatisierend und diskriminierend. Er erschafft neue Trennlinien zwischen den Menschen und auch den Tieren. Von fortschrittlichen oder gar revolutionären Thesen, wie die französischen Anti-SpeziestInnen es gerne darstellen, kann meiner Ansicht nach aber glatt überhaupt nicht die Rede sein. Es handelt sich vielmehr um puren Reformismus, zwar keinen konservativen oder doch einen sehr konformistischen, zumindest was den gegenwärtigen Trend an kapitalistischen Ideen und Vorstellungen anbelangt.

„Toleranz gegenüber Singer und seinen MitstreiterInnen hat nichts mit der Freiheit aller Individuen zu tun, sondern ist nur ein Vehikel zur Durchsetzung reaktionärer und machterhaltender Politik" (Vorwort zu Bruns, Penselin & Sierck, 1993, Seite 16). MARCUSE -> repressive Toleranz

Euthanasie-kritische Literatur

Bruns, T. ; Penselin, U. & Sierck, U. (Hrsg.) (1993). Tödliche Ethik, Beiträge gegen Eugenik und ‘Euthanasie’ (zweite Auflage). Hamburg: Verlag Libertäre Assoziation (ALLE Artikel!)

Fenigsen, R. Euthanasie - „auf Verlangen" und „freiwillig"? Wie Mord in einer Gesellschaft legalisiert wird. In: ÖkolinX 10, April/Mai 1993

Meyer, N. (1996). Die Relevanz Peter Singers in der Diskussioin um die Rechte der Tiere. In: TAN (Hrsg.) Euthanasie und Tierrechte. Am Beispiel Peter Singer. Hamburg.

MSE. Peter Singer & Co: Peter Singer, Tierrechtsbewegung, die Linke und Tiere, Emma. In: MSE #7

Peter, S. (1998). Deutscher Bauchredner Singers gibt auf. In: Der Rechte Rand Nr. 52, Mai/Juni 1998

Speit, A. (1996). Über Menschen und Tiere - Peter Singers Bioethik. In: TAN (Hrsg.) Euthanasie und Tierrechte. Am Beispiel Peter Singer. Hamburg.

TATblatt-Leser. Selbstbestimmtes Sterben? In: TATblatt #93 (1998). Wien.

Unbekannt (1996). Singer sang nicht ungestört - Lebensrechte sind nicht diskutierbar. Prozeß wegen Singer-Verunstaltung am 26. Mai. In: Was Lefft (Sorry aber mir fehlen fast jegliche Quellenangaben)

Pro-Euthanasie-Literatur

Bonnardel, Y. (1998). A propos des handicapés. In: Pour l’égalité animale #4, Februar 1998

Muel, J. (1998). Questions d’éthique de Peter Singer. In: Pour l’égalité animale #4, Februar 1998

Singer, Peter (1984). Praktische Ethik. Stuttgart: Reclam Verlag